Viele Menschen, die im glücklichen Besitz eines Gartens sind, bezeichnen
bestimmte Pflanzen als Unkraut. Hierbei spielt es keinerlei Rolle, um
welche Gewächse es sich spezifisch handelt; nein, die genaue Definition
lautet eben: das Gewächs, das am falschen Ort oder ungewollt wächst.
Als aussagekräftiger Rat wird meistens noch hinzugefügt: "...nach
Möglichkeit auslöschen, besser: vernichten!"
Denn, wer will schon seinen gehegten Garten von einem ekelerregenden,
obszönen Kraut überwuchert sehen?
Unkraut bedeutet auch Ohnmacht, ja Hilflosigkeit; der Gärtner als
glotzäugiger Doofian, der tatenlos dem Untergang seiner Beete mit
nichts im Wege steht, der damit auch ein Stück abendländischer
Kultur den Bach hinunter schickt...
Herr Schmidts war schon immer ein begeisterter Hobbygärtner gewesen,
einer mit zwei grünen Daumen an jeder Hand. Reell beurteilt brachte
er es nur auf einen pro Fingersammlung, aber in übertragenem Sinne
hatte er schon ein paar mehr an jeder Hand, das glaubte Schmidts zumindest.
Einige von ihnen konnte man mit großer Sicherheit den zahlreichen
Düngesäcken zurechnen.
Kommen wir nun zum Kern der Sache: Er hegte und pflegte seinen Garten
mit grauenhafter Sorgfalt, vollkommener Pedanterie und inniger Liebe zu
sich selbst. Das Produkt seiner Obhut sollte so werden wie er: korrekt
und immer pünktlich.
Und gerade diese Ansprüche, verbunden mit jener verhängnisvollen
Definition (siehe oben), sollten sein Schicksal besiegeln.
Wie bei jedem normalen Menschen konnte Schmidts sich nicht den Alterungsprozessen
entziehen. Vielleicht kam erschwerend hinzu, daß er ausgerechnet
heute nicht ganz so ausgeschlafen hatte wie sonst.
In seinen Hobbygärtnerschuhen durchwatete er den Rasen, der seiner
Meinung nach wieder eines dringenden Schnittes bedurfte. Besonders hier
achtete er darauf, daß sich kein schreckliches, monströses,
grasfressendes Insekt oder eine sonstige Lebensform niederließe,
was rein vom Düngeaufwand glücklicherweise nicht möglich
gewesen wäre.
Als er aber dann seinen Garten betrat, stellte er Entsetzliches fest:
Im ersten Beet, das nach seiner Gartenplanung Zwiebeln führen sollte,
wucherten frivol buschige Hülsengewächse, die in grotesker Unanständigkeit
ihre buschigen Samenkapseln gen Himmel reckten; prall genug, um bei Schmidts
ein Gefühl der Übelkeit hervorzurufen.
Exhibitionismus, dachte er sich. Ein Komplott. Ohne Zweifel, es waren
unerwünschte Erbsen, die feige ihre Mitbewohner verdrängt hatten.
Ein Dolchstoß in meinem Rücken.
Erst jetzt ließ er seinen Blick schweifen, wobei er mit wachsendem
Entsetzten bemerkte, daß die gesamte Planung aus den Fugen geraten
war: Fette, geschwulstartige Zwiebeln prangten auf dem Karottenbeet, verströmten
brünftig ihren penetranten Geruch; lappriger Kopfsalat - wahrscheinlich
krebszerfressen - quoll dort, wo einst die lieblichen Radieselein blühten...
Was ging hier vor?
Nur noch vom Gedanken besessen, reinen Tisch - Tabula rasa - zu machen,
nahm er die Hacke und schlug wutentbrannt in die dumpfe Masse des zu Fäkalien
mutierten Gemüses. Es spritzte, wirbelte Dreckklumpen in die Höhe,
vermischt mit dem unkeuschen Saft der Gefallenen.
Bald aber reichte ihm das Gartenwerkzeug nicht mehr aus, so daß
er sich des Allzweckgerätes "Rasenmäher" bediente, der dankbar
die Beete von ihrem verderbten Aussatz erlöste.
In dieser Rage griff er zum letzten Mittel - Ultima ratio -, um seine
Welt ein für alle Mal von Unerwünschtem fernzuhalten: ein Faß,
das er während seines letzten Urlaubs aus der Nordsee gefischt hatte.
Egal, was es beinhaltete, er wußte, daß es alles töten
würde.
Und in der Tat, es verfehlte seine Wirkung nicht. Zwar hatte Schmidts
noch bemerkt, daß er lediglich am falschen Ende seines Gemüsegartens
gestanden und deshalb die Planung durcheinander gebracht hatte, doch war
dieser Fakt bedeutungslos geworden. So starb er wenigstens mit Einsicht.
Der kleine Landkreis, in dem er gelebt hatte, mußte evakuiert werden;
die obere Erdschicht wurde abgetragen, lagert jetzt in irgend einem alten
Salzstollen, und die gesamte Fläche einbetoniert.
Greenpeace stellte Jahre später dort ein Kreuz auf; irgendwie romantisch,
nicht?
(Januar 87/ Juli 93)
Kilian Fitzpatrick / Christoph Schäferle/ Nikolai Vogel: UND ANDER UNTIEFEN Leseprobe