Lange hatte er geschlafen, und jetzt wachte er auf. Es war dunkel,
und er war verwundert, denn er hatte das Morgenlicht erwartet, das durch
die Vorhänge schimmerte. Also schaute er auf seinem Wecker nach der
Zeit, doch er sah die vertraute Digitalanzeige nicht leuchten. Auch noch
Stromausfall, dachte er etwas verärgert und wollte noch ein wenig
dösen, bis ein komisches Gefühl wuchs und er sich mit einem
Schlag blitzwach wußte, von Seltsamkeiten beschlichen. Es war vollkommen
finster, nicht einmal Umrisse seines Zimmers, Stille. Er bekam Angst und
wollte sich aufrichten, doch es war unmöglich, er wußte nicht
wie, er spürte seinen Körper nicht. Ihm wurde bewußt,
daß er überhaupt nichts wahrnahm, nichts um ihn herum, und
so stellte sich das Gefühl ein, als schwebte er, grenzen-, schwerelos.
Doch wo war er, weshalb konnte er nichts tun, hatte keinen Kontakt zu
seinem Körper? Und einen Moment beruhigte er sich mit dem Gedanken,
er träume, doch dann war er sich mit einemmal sicher, es gäbe
keine Träume mehr. Es war, als sei er blind und gelähmt und
noch mehr als das, jeglicher Sinn war abhanden, nur Gedanken schienen
noch irgendwo gedacht zu werden. Er begann zu suchen, irgendeinen äußeren
Anhaltspunkt, an dem er sich festhalten und aufrichten könnte, die
verlorene Orientierung wiederfinden. Und es war nichts, und er suchte
nun nach sich selbst, dachte, er müßte nur die Augen öffnen,
doch er konnte nicht, hatte nicht einmal Augen. Die äußere
Welt war verschwunden, und er akzeptierte dies fast auf seltsame Weise,
doch er konnte sich noch nicht damit abfinden, daß auch sein eigener
Körper verschwunden war, verschwunden sein konnte, eine Körperlosigkeit
ihn umgab und aufgelöst hatte, in ihm war, oder sogar er der Grund
dafür war, sie aus ihm stieg. Kurz wußte er noch von seinen
Sinnen, waren sie präsent in einer Erinnerung, von der er schon nicht
mehr wußte, wo sie sich befand, waren dort noch die Bilder von Bildern
und Töne von Tönen, gab es Schatten von Düften, dann mußte
auch dies verblassen, wurde unvorstellbar, zur Unmöglichkeit, hatte
es nie gegeben. Und es wurde selbstverständlich, keinen Körper
zu besitzen, allerdings schwand Selbstverständnis, denn die Vorstellung
eines Ichs wurde paradox. Und die Gedanken, die erst noch übrigblieben,
lösten sich, denn sie hatten nichts mehr, über das sie sein
konnten, konnten sich noch eine Weile auf sich selbst beziehen, blitzten
nocheinmal auf und waren nicht mehr als nichts
(Mai 93)
Kilian Fitzpatrick / Christoph Schäferle/ Nikolai Vogel: UND ANDER UNTIEFEN Leseprobe